"Die Kunstwerkstatt soll ein Vorbild für einen respektvollen und selbstbestimmten Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen sein."
Regula Wyrsch, Sozialarbeiterin FH, Coach, Supervisorin, Organisationsberaterin BSO engagiert sich sein April 2014 im Vorstand des Vereines Kubeïs.
Die Kunstwerkstatt an der Lorze in der "Papieri" Cham ist eine anerkannte Tagesstätte für künstlerisch begabte Menschen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung und einer IV-Rente. Wer die Werkstatt nutzen will, bewirbt sich mit Unterlagen zum bisherigen eigenen Kunstschaffen und "mietet" dann einen Arbeitsplatz an mindestens zwei Wochentagen. Es stehen maximal 20 Atelierplätze zur Verfügung, die aktuell von 40 Personen genutzt werden.
Das Atelier ist vom Montag bis Freitag offen und betreut. Jährlich gibt es zudem vier bis sechs Impuls-Samstage. In der restlichen Zeit - Wochenenden, Betriebsferien und Abendstunden - können die Kunstschaffenden das Atelier eigenverantwortlich nutzen.
Regelmässig werden Ausstellungen mit den Werken der Kunstschaffenden und Kunstprojekte realisiert. Träger der Kunstwerkstatt ist der Verein Kunst & Behinderung Innerschweiz (Kubeïs).
Regula Wyrsch: Du engagierst Dich ehrenamtlich für den Verein Kubeïs? Wie kam es dazu und wieso tust Du das?
Ich habe in der Zeitung einen Artikel über Kubeïs gelesen. Das Angebot einer Kunstwerkstatt für Menschen mit einer Beeinträchtigung hat mich sehr interessiert und ich kannte den damaligen Präsidenten Mathys Wild noch als Dozenten an der Hochschule Luzern Soziale Arbeit. Ich habe ihn angerufen und mich genauer über den Verein informiert. Sie suchten Mitglieder für den Vorstand mit dem Ziel, den Verein breiter in der Zentralschweiz zu verankern. Gerne stellte ich mich für die ehrenamtliche Mitarbeit im Vorstand zu Verfügung und wurde an der GV 2014 in den Vorstand gewählt.
Kunst als Ausdrucksmittel persönlicher Wahrnehmung finde ich sehr spannend. Ich wollte selber mal Künstlerin werden. Die Soziale Arbeit hat mich dann so stark beansprucht, dass ich heute nur noch in meiner Freizeit male. Daneben setze ich mich unterschiedlich mit Kunst auseinander, sei es im Verein Kubeïs oder im Verein Vekultur, der alle zwei Jahre in Stans einen Kunstmarkt organisiert oder einfach mit dem Besuch von Ausstellungen, Lesungen, Konzerten und Kinobesuchen.
Mir ist es ein grosses Anliegen, verschiedensten Menschen zu ermöglichen, ihr Kunstschaffen einzubringen, sich weiter zu entwickeln und Werke in Ausstellungen zu präsentieren. Dafür setze ich mich mit Begeisterung und Engagement ein.
Seit 2013 gibt es die Kunstwerkstatt an der Lorze. Was war die grösste Herausforderung für die Kunstwerkstatt und/oder euren Verein und wie habt ihr sie gemeistert?
In der ersten Zeit war die Sicherung des Angebots die grösste Herausforderung. Der Kanton Zug hatte mit einer einmaligen Unterstützung aus dem Lotteriefonds eine Pilotphase in den Jahren 2013/2014 ermöglicht. Es galt, in dieser Zeit die längerfristige Finanzierung sicherzustellen.
Der Weg dazu war, sich als soziale Institution bekannt zu machen und zu installieren, das heisst die Grundlagen zu schaffen und die nötige Überzeugungsarbeit zu leisten, damit der Kanton dem Atelier eine Betriebsbewilligung als Tagesstätte erteilte und sie der interkantonalen Vereinbarung über soziale Institutionen unterstellte. Seitdem finanziert sich die Kunstwerkstatt zum grössten Teil über die Entschädigung für die soziale Dienstleistung.
Seither ist die Doppelnatur der Kunstwerkstatt als soziale Einrichtung (Tagesstätte) und als Kunst-Atelier die grösste Herausforderung.
- Wieviel Kunst steckt in der Kunstwerkstatt?
- Auf wieviel sozialen Bonus können und wollen wir verzichten?
Es braucht sehr viel Engagement, Ausdauer und Kreativität, damit Kunst von "Laien" oder Kunst von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen als ernsthaften Beitrag zum zeitgenössischen Kunstschaffen beachtet und nicht als "soziales Tun" abgewertet wird.
Der künstlerische Anspruch ist aber auch für Atelier-Nutzer*innen eine Herausforderung oder vielleicht sogar eine Zumutung: Der soziale Schonraum verkleinert sich auf das gesundheitlich begründete Minimum.
Die Balance zu halten zwischen künstlerischem Anspruch und sozialer Aufgabe verlangt viel Fingerspitzengefühl, Flexibilität und stette Reflexion. Es gibt keine klare Eindeutigkeit.
Was sind Deine Aufgaben als Vorstandsmitglied?
Die Mitarbeit im Vorstand verändert sich laufend. Während am Anfang Aufbau, Finanzbeschaffung, Personalanstellungen im Vordergrund standen, geht es heute mehr um längerfristige Strategieren, geeignete und bezahlbare Räumlichkeiten und um die Auseinandersetzung mit der Kunst generell.
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Was und wen wollen wir mit unserem Verein fördern?
- Was heisst Partizipation in unserem Betrieb?
- Welche Art von Führung braucht diese Institution?
Spannende Themen, die wir im Vorstand zusammen mit der Co-Geschäftsleitung Lukas Meyer und Sandra Bucheli und mit den Gruppen-Leitungen sowie den Teilnehmenden der Kunstwerkstatt weiterentwickeln.
Die unterschiedliche Zusammensetzung des Vorstandes aus Betriebswirtschaft, Psychologie, Recht, Sozialer Arbeit und Kunst ermöglicht eine sehr abwechslungsreiche und breit vernetzte Zusammenarbeit.
"Wir wünschen uns eine selbstverständliche künstlerische Aussenwirkung."
Welche Wünsche und/oder Visionen hast Du für die Kunstwerkstatt und ihre Künstler*innen?
Die Kunstwerkstatt an der Lorze ist zurzeit als Zwischennutzung im Verwaltungsgebäude der ehemaligen Papierfabrik Cham eingemietet. Wir haben genügend Platz, die Räume sind hoch und hell, aber es fehlt ein Aussenraum, und künstlerische Techniken, die lärmig oder staubig sind, können wir nicht anbieten.
Wenn wir die Augen schliessen, erträumen wir uns in ein paar Jahren einen auf Dauer sicheren, gut gelegenen Standort für die Kunstwerkstatt, mit kreativ anregendem Atelier-Charme und mit grosszügigem Aussenraum für den Mittagstisch im Sommer, für Holz- Stein- oder Eisenbearbeitung usw. Oder dezentrale Ateliers des Vereins in der Zentralschweiz.
Wir haben weiter die Vision, dass die Kunstwerkstatt als Modell und Vorbild für einen respektvollen, selbstbestimmten Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen in die Öffentlichkeit ausstrahlt. Dazu erproben wir Wege, die Partizipation, die Mit- und Selbstbestimmung der Kunstschaffenden stark zu erweitern. Es ist uns wichtig, dass auch die Institution und der Verein partizipative, klare und gute Arbeitsbedingungen anbietet, die allen ermöglichen, mit Freude zu arbeiten.
Und nicht zuletzt wünschen wir uns eine selbstverständliche künstlerische Aussenwirkung: Ein breites, kunstinteressiertes Publikum an unseren Ausstellungen und bei unseren Projekten, einen der Qualität des Geschaffenen gemässen Platz in der Kunstszene - bei den öffentlichen Kunsteinrichtungen und in den Medien.
Wie kann man Euch privat unterstützen?
Die Kunstwerkstatt ist nun als Tagesstätte durch Abgeltungen für die Dienstleistungen des Sozialstaates über einen Tagestarif stabil und ausreichend finanziert.
Private Unterstützung ist nötig für den Auf- und Ausbau der Institution, für die Überbrückung finanzieller Notlagen von Teilnehmenden in prekären finanziellen Verhältnissen und für aufwändigere Vorhaben / Projekte im Zusammenhang mit dem besonderen Kunstcharakter der Institution, die den Rahmen des im Tagestarif Abgedeckten übersteigen. Dafür nehmen wir gerne Spenden entgegen.
Was hat Dich rund um die Kunstwerkstatt in den letzten Jahren am meisten berührt?
Was mich immer wieder begeistert, sind die Entwicklungen der Künstler*innen und die Qualität der Kunstwerke, die in der Kunstwerksschaft geschaffen werden. Auch die Jahresausstellung ist immer wieder ein Höhepunkt im Vereinsjahr. Wenn die Künstler"innen selber etwas zur der Entstehung und Bedeutung ihrer Werke und ihrem Bezug dazu erzählen, sind dies genau die berührenden Momente, die ich nicht missen möchte. Es ermöglicht uns eine neue andere Sicht und kann vieles auslösen.
Was bedeutet für Dich persönlich Kunst und wo hat sie Einfluss auf Dein Leben?
Für mich ist die Kreativität eine dem Menschen innewohnende Erfahrung. Das Wort Kunst bezeichnet im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist. Wenn eine Auseinandersetzung mittels Bilder, Sprache, Musik, Bewegung in Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft, der Natur und Welt erfolgen kann, ist dies für mich Kunst.
Seit meiner Jugend male ich. Gerade als Gegenentwurf zu meiner Berufstätigkeit ist die Malerei für mich eine enorme Bereicherung. Ein spontanes, chaotisches und oftmals dem Zufall überlassendes Tun.
Welche Interview-Frage wolltest Du schon immer gestellt bekommen und beantworten?
Dazu die drei wichtigsten Fragen des Lebens, die ich aus der Geschichte "Die drei Fragen" von Leo Tolstoi, dem grossen russischen Schriftsteller, zitieren möchte:
Was ist die wichtigste Zeit?
Jetzt ist die wichtigste Zeit. Nicht die Vergangenheit, in der wir rumrühren, als gibt's kein Morgen. Nicht die Zukunft mit ihren Verlockungen und ihren Sorgen.
Wer ist der wichtigste Mensch?
Der, mit dem Du gerade zusammen bist, ist der wichtigste Mensch.
Was ist das wichtigste Werk?
Sich um andere zu kümmern, ist das wichtigste Werk.
Gibt es sonst noch etwas was für die Kunstwerkstatt notwendig ist?
Wichtig für die Kunstwerkstatt und ihre Kunstschaffenden ist die ideelle Solidarität, Zeit und Aufmerksamkeit. Die Kunstwerkstatt braucht Gönner*innen, die Türen zu Projekten und Ausstellungs-Orten öffnen, die als Garant*innen und Multiplikator*innen in der Kunstwelt wirken, die uns auf Chancen aufmerksam machen und ehrliches, konstruktives Feedback geben.
Wir brauchen Besucher*innen an unseren Ausstellungen und Interessierte, die Kunstwerke kaufen.
Herzlichen Dank, liebe Regula, für das Interview und Dein ehrenamtliches Engagement. Weiterhin viel Freude, Erfolg und Gesundheit beruflich wie privat.
Für das Interview: Manuela Ming
Hinweis: Dieses Interview entstand anfangs März.
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Kunstwerkstatt an der Lorze,
Verein Kunst & Behinderung Innerschweiz
Fabrikstrasse 5, 6330 Cham
Der Verein Kunst & Behinderung Innerschweiz ist Träger der Kunstwerkstatt an der Lorze. Ziel des Vereins ist, für kreative Menschen aus der Zentralschweiz, die mit einer psychischen, geistigen und/oder körperlichen Beeinträchtigung leben, eine künsterlisch-kreative Heimat zu erschaffen.
Spenden: IBAN CH67 0078 7007 7194 2670 2
Alle Bilder wurden uns freundlicherweise von Regula Wyrsch und dem Verein Kubeïs für das Interview zur Verfügung gestellt. Sie unterstehen dem gültigen Urheberrecht!
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