"Ich möchte für mich den Weg gehen, der der Lebensfreude folgt."
Bettina Strang studierte vier Semester Germanistik und Philosophie. Anschliessend absolvierte sie die Fachschule Kosmetik und war einige Zeit in diesem Bereich - auch als Selbständige - tätig.
Seit ein paar Jahre lebt sie ihre Berufung und ist freiberuflich Schreiberin (auch Ghostwriting), Texterin und Rednerin. Ausserdem hält sie Lesungen, bloggt, ist dem Theater sehr zugetan und arbeitet an weiteren Werken. Seit 2010 lebt Bettina in Hamburg.
Bettina Strang, ich persönlich mag ja Deine Schreibe sehr. Erzähl mal, für welche Kundschaft schreibst Du und was für Fähigkeiten bringst Du dafür mit?
Ich schreibe für Menschen, die sehr persönliche Texte möchten. Texte, die direkt mit ihrem Wesenskern zu tun haben. Das kann für eine Rede ebenso der Fall sein, wie für eine Homepage oder einen Zeitschriftenartikel. Die Texte sollen berühren und etwas in den Menschen zum Klingen bringen.
Schon früh habe ich ein ausgeprägtes Gespür für andere gehabt, das sich sehr tief weiter entwickelt hat. Ich habe Worte für das, wo sonst Worte fehlen. Mein grosses Faible sind Gratwanderungen. Wie vereine ich Gegensätze oder bringe etwas zur Sprache, was offen ausgesprochen fehl am Platze wäre und dennoch gesagt sein muss? Zwischentöne, Paradoxes. Feinheiten. Bei Hochzeitsreden und anderen anlassbezogenen Reden kann das extrem wichtig sein.
Es klingt vielleicht etwas verrückt, aber ich liebe Trauerreden schreiben. Die Essenz eines ganzen Lebens in die überschaubaren Redeminuten zu packen - das ist speziell. Vor allem, wenn es nicht einfach ein blutleere Allerweltsverabschiedung oder ein aalglatter Nachruf um des schönen Scheins Willen sein soll. Echt sein, ohne blosszustellen; ggf. schwierige Eigenschaften beschreiben, ohne zu werten. Menschen sind zu facettenreich, um sie auf ein paar biografische Daten zu reduzieren. Oder nur eine Wesensseite. Ich schreibe ohne vorgefertigte Textblöcke. Immer individuell.
Ansonsten bin ich durch meinen ersten erlernten Beruf - Kosmetikerin - viel angefragt aus dem Beauty-Bereich und von Kosmetikunternehmen.
Hast Du auch mal Schreibblockaden und wie gehst Du damit um?
Oh ja, die habe ich durchaus. Dann finde ich den vermaledeiten ersten Satz nicht oder der innere rote Faden will sich nicht spinnen. Sitzen und glotzen. Aufstehen, rumlaufen und dann ab zum Knäckebrot. Ja, genau, Knäckebrot. Krachen und knirschen muss es in meinem Schädel (ahmt das Knuspergeräusch nach).
Ich brauche dieses Geräusch und das tatbissige Zerknuschpeln. Eine Weich-Semmel (Anm. in der Schweiz "Weggli") wäre nicht dienlich. Bei meiner Obduktion wird sich dereinst herausstellen, dass ich zu 77,6 % aus Roggensauerteig-Knäckebrot bestehe. Der Rest verteilt sich auf heisses Wasser, Käsekuchen und Gemüse.
Im Mai 2018 hast Du Dein Gedichtband "Wachsen lassen" veröffentlicht und für 365CARD für ein Porzellan-Buch Texte und Fotos beigesteuert. Dürfen wir uns auf weitere Werke von Dir freuen? Wenn ja, was ist geplant?
Hach, ja, "Wachsen lassen"* ist ein unglaubliches Herzens-Projekt gewesen und insofern freut mich besonders, dass es einen grossen Anklang gefunden hat. Ein zweiter Gedichtband kommt mit Sicherheit, möglicherweise noch in diesem Jahr.
Ich schreibe ausserdem an einem Theaterstück und, das ist letztlich vor allem eine Zeitfrage, eine Auswahl meiner Blog-Texte soll unbedingt zwischen zwei Buchdeckel. Und dann gibt es noch, ganz frisch, eine Kooperation mit - psssssssssssst. Verrate ich noch nicht. Hehe.
Welche Träume und Wünsche hast Du privat und/oder beruflich?
In beiden Fällen gilt, dass ich für mich den Weg gehen möchte, der der Lebensfreude folgt. Damit meine ich, dass hinter dem was ich tue zu 100 % meine tiefe Freude daran stehen soll. Ich möchte nicht mehr aus Angst oder Bedenken oder Vorsicht oder sonstigen Gründen handeln. Wenn 100 % Freude die Basis ist, dann darf's auch mal holprig werden auf dem Weg oder steiniger sein. Egal. Ich weiss tief im Inneren, warum ich den Weg gewählt habe und will. Wann immer im Leben ich andere Gründe hatte - aus dem wohlmeinenden Kopf heraus, ohne Rückkopplung zu meinem Wesenskern - habe ich es bereut. Im Sinne einer eher bitteren oder anstrengenden Erfahrung.
Ich möchte noch viel mehr zu diesem Kern vordringen und ihn nach aussen bringen. Denn in diesem Kern, das spüre ich instinktiv, schlummert das volle Ausmass meiner Gabe Menschen und Leben zu sehen, zu beschreiben, sichtbar zu machen.
Das wünsche ich mir beruflich wie privat. Mein inneres Spiel gewinnen. Nicht den äusseren Quatsch. Wu wei! (Anm. Begriff aus der japanischen Philosophie des TAO). Im Lebensfluss sein. Nichts anderes will ich.
Wieso soll ich eine Lesung von Dir besuchen? Was habe ich als Zuschauerin davon? Kann man Dich dafür buchen?
(lacht) Lesung, das höre ich ständig, sei das falsche Wort für meine Lesungen. Weil ich meinen Geschichten viel Bühnenleben einhauche. Wer also bei Lesung an getragenes Vorlesen denkt - äh, nö, das findet man bei mir nicht. In meinem Publikum wird gelacht, geseufzt, geheult, geschwiegen, sinniert, gekichert und vor allem oft gedacht: Kenn ich!
In den Geschichten und Gedichten geht es um Gefühle und Situationen, die jeder kennt. Ich liebe Situationskomik, liebe die irrwitzigen Details des Alltags. Es darf urkomisch und todtraurig sein - genau in dieser Bandbreite spielt sich das Leben ab. Am meisten geniesse ich selbst übrigens diese ganz spezielle Form von Stille nach einer Geschichte oder einem Gedicht, wenn das Publikum noch die Luft anhält. Was für ein Geschenk! Unbezahlbar.
Ob man mich buchen kann? Na, aber immer doch. (Anm. kontaktieren Sie Bettina Strang gerne über ihre Homepage).
"Ich sehe ständig Geschichten."
In Deinem Blog geht es ja oft um Alltags-Situationen. Die Situationskomik kommt dabei nicht zu kurz. Wie kommt es zu diesen Geschichten? Hast Du das alles selber erlebt?
Ja. Mir kommt hierbei sicherlich zugute, dass ich eine Extraportion Ungeschicklichkeit in die Wiege gelegt bekommen habe. Ich bin tollpatschig. Schlamassel ist mein Zweitname. Andererseits erzählen viele Geschichten, etwas, was JEDE*R von uns erlebt. Nur schreiben es die Leute sonst nicht auf. Ich teile einfach meine Beobachtungen und Empfindungen eins zu eins. Das ist die ganze Geschichte.
Ich sehe ständig Geschichten. Jede Sekunde spielt sich eine vor mir ab. Ich bin verliebt ins Beobachten von Menschen. In die Details. Bin verliebt in die Geschichten, die in Gesichtern wohnen oder in einer Geste, einem Blick, einem Geräusch.
Das ist der Grund, warum ich zum Beispiel Warten nie als doof empfinde, weil ich dabei so schön beobachten kann, was um mich los ist. Warten ist geschenkte Zeit. Ich muss schon SEHR in Eile sein und SEHR spät dran, um aggressiv beim Warten zu werden.
In machen Geschichten verfremde ich natürlich das eine und andere, damit die Personen nicht wieder erkannt werden können.
Beim Verein ungeschminkt in Hamburg stehst Du auch als Schauspielerin auf der Bühne. Aus reiner Neugierde: Ist da Improvisationstheater ein Thema?
Jein, Wir machen regelmässig Impro-Übungen in den Proben, arbeiten ansonsten jedoch jeweils an einem Theaterstück bis zur Aufführung. Unser Probe-Raum wird freundlicherweise von einer Kirchgemeinde zur Verfügung gestellt. Wenn die Sommerfest haben, dann beteiligen wir uns allerdings meist mit Impro-Theater. Sehr vergnüglich!
Wir haben in diesem Gespräch einige Male herzlich gelacht. Worüber lachst Du am liebsten?
Situationskomik. Das Leben. Überall lauert das Groteske. Herrlich! Und natürlich lache ich viel über mich selbst. Und Perscheid. Bei Perscheid* lieg ich regelmässig unterm Schreibtisch und kringle mich weg.
Welche Interview-Frage wolltest Du schon immer gestellt bekommen und beantworten?
Frage:
Was macht Dir am meisten Angst?
Antwort:
Der Gedanke an "die Ewigkeit". Ewig tot oder ewig leben (in welcher Form auch immer), ich empfinde beides als unerträgliche Aussicht. Und es gibt keine Lösung. Einmal geboren hängt man in der Falle.
Zum Schluss: Was bedeutet für Dich persönlich das Schreiben? Und hast Du einen Tipp für angehende Schreiber*innen?
Uhhhh, jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht pathetisch werde. Schreiben... das ist wirklich eine meiner wichtigsten Lebendigkeitsquellen, mein vielleicht stärkstes Ausdrucksmittel. Ich habe keine Wahl, ich MUSS schreiben. Das drängt nach aussen. Es schreibt mich.
Und Tipps... ich fürchte, ich bin kein Mensch für Tipps, schon gar nicht beim Schreiben. Wer schreiben MUSS wird schreiben- Es ist wie bei allem. Tu es mit ganzem Herzen, tu es bedingungslos und... doch... das wäre der Tipp: Hab immer genug Knäckebrot daheim!
Ich danke Dir, Bettina, für das amüsante UND inspirierende Gespräch! Dir wünsche ich weiterhin ganz viel Lebensfreude und Erfolg! Ich freue mich weiterhin von Dir zu lesen.
Für das Interview: Manuela Ming
* Wer Produkte über unsere Links einkauft, unterstützt unseren Blog. Amazon zahlt dafür eine kleine Provision aus. Der Preis bleibt dabei exakt der Gleiche.
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Christine Lindner (Samstag, 27 Juli 2019 06:11)
Ich liebe deine Interviews, Manuela. Mit diesem hast du mein Lieblings-Interview geschrieben.
Bettina Strang tut mir richtig gut. Ihre Haltung erinnert mich an meine persönliche Lebensfrage: "Hat dieser Weg ein Herz?"
Neu ist für mich der Knäckebrot-Trick. Den probiere ich aus. Und "Wachsen lassen" kauf ich mir.
Danke, Manu �
Manu von Allerlei Impro (Samstag, 27 Juli 2019 07:50)
Liebe Christine, vielen herzlichen Dank! Das freut mich sehr!
Melanie Engl (Dienstag, 30 Juli 2019 15:26)
Ein ganz fantastisches Interview ❤️ Herzlich, berührend und macht einfach Freude zu lesen. Besonders deshalb, weil ich selbst leidenschaftlich schreibe- doch noch viel zu wenig präsent damit bin. Dieses Interview hier von euch, das hat mir einen Stups gegeben, mir gerade das Gefühl, das beim schreiben auftaucht wieder gezeigt. Mal schaurn wie es weitergeht. Danke euch beiden für dieses tolle Interview �❤️✨
Manu von Allerlei Impro (Dienstag, 30 Juli 2019 15:33)
Liebe Melanie, lieben Dank für Deine Freude über das Interview. Ich bin gespannt, wie es mit Deinem Schreiben weiter geht.
Kristina Mohr (Samstag, 21 September 2019 15:15)
Liebe Manuela, wieder ein großrtiges Interview, danke! "Das innere Spiel gewinnen" hat mich sehr berührt... Einen herzlichen Gruß an Frau Schlamassel, ich werde mal zur "Lesung" kommen :)
Manu von Allerlei Impro (Samstag, 21 September 2019 15:19)
Wie schön, wenn ihr zwei Interview-Gäste Euch treffen würdet!
Das würde mich sehr freuen. Und danke für das Lob! :-)